Wie die Burg eines Drachen ragen die Felsenzinnen des Col de Rouet rot, steil und bizarr über meinem staubigen Anstieg empor. Exotische Laute dringen aus dem endlosen Dickicht. Lichtreflexe zaubern die passenden Geschöpfe dazu. Der von der Hitze steinhart gebackene Sand meines Pfades funkelt wie Gold in der glühenden Hitze.

Ich war in ein anderes Land, nein eine andere Zeit geraten. Vorbei das nervöse Surren der Vespas in St. Tropez. Vergessen das Fauchen des TGV bei Les Arcs, das Brummen der Autobahn bei Le Muy. Selbst das Meckern der Schafe am Fuße des Berges war nur mehr eine blasse Erinnerung. Weggewaschen von den Eindrücken einer Landschaft die Vulkane vor 250 Millionen Jahren entstehen ließen. Mit einer Urtümlichkeit die einen glauben macht, die letzten Drachen wären nicht vor 180 Millionen Jahren von unserer Erde verschwunden, sondern hielten sich hier oben noch immer irgendwo versteckt.

Die Hotspots des Bikegebiets: 1. Foret de Les Arcs; 2. Rochet de Roquebrune; 3. Colle de Rouet; 4. Taradeau

Unerträglich steil ging es nun bergan. So trug ich mein Rad die letzten Meter zwischen zwei großen, mit Palmen besetzten Felswänden hindurch. Oben angekommen raubte mir dann nicht mehr der Anstieg den Atem, sondern das Panorama: Freie Sicht vom Meer bei St. Maxime, über die markanten Felsen von Roquebrune bis zur mit Korkeichen durchzogenen Weinbauebene des Flüsschens Aille und dem olivenbewaldeten, endlosen Massif des Maures gleich dahinter. Allesamt und jedes für sich ein traumhaftes Bikegebiet. Wer auch immer hier oben umherstreifte: Er hatte einen bombastischen Ausblick. Eine Art prähistorische Dachterrasse, der übrigen Welt auf mystische Art entrückt.

Ich setzte mich auf einen Hocker aus rotem Stein hinter dem die Felsen jäh um gut dreihundert Meter Richtung Tal abfielen und blickte mich um. Erstaunlich: Bereits am nächsten Hügelzug wechselte die Farbe des Gesteins vom hiesigen rot zu kaltem grau – der Beginn der Alpen? Am Horizont jedenfalls erhoben sich bereits „echte“ Berge. Erste Ausläufer der Verdonschlucht an deren steilen Flanken sich schemenhaft einzelne Dörfer wie ockerfarbene Flechten festkrallten.

Vor mir das Meer, unter mir der Wein, hinter mir die Alpen – alles da, was man sich nur wünschen kann. Zufrieden stieg ich auf mein Bike, bog auf einen Trail und tauchte durch dschungelartiges Dickicht hinab ins Tal. Einen Drachen hatte ich nicht erblickt. Aber schon morgen warteten die verwunschenen Waldhügel südlich von Les Arcs auf mich. Und dort gibt es wirklich Urweltbewohner: Wilde Schildkröten!