Es ist fünf Uhr am nächsten Morgen. Der Hochwanner steckt mir noch etwas in den Knochen, als ich im Steinernen Hüttl hektisch meinen Wecker stoppe, um die anderen Lagerschläfer nicht zu stören. Heute geht’s zur Zugspitze.

Ab Nachmittag haben Klaus und David von alpenbergwetter.com Gewitter angesagt. Ich bin froh, dass ich die beiden noch kurz vor Tourstart als Unterstützer gewinnen konnte. Bisher lagen sie mit ihren Prognosen immer richtig. „Ihre“ Quellwolken über der Hohen Munde kamen gestern fast auf die Stunde genau und mündeten tatsächlich spätabends in den vorhergesagten Starkregen. Also beschließe ich heute ein zügiges Tempo anzuschlagen und wenn möglich keine Pausen zu machen. So biege ich bereits nach etwa zwei Stunden bei der Knorrhütte in den Geröllpfad durch das Weiße Tal zum Zugspitzplatt ein. Für die bunten Bergsteigerkarawanen auf ihrem Weg zum „Everest der Deutschen“ ist es glücklicherweise noch zu früh.

Dennoch laufe ich bald auf eine rastende Wandergruppe auf und folge ihrem fest nach oben geheftetem Blick: Zwei Mountainbiker rutschen uns dort etwas unbeholfen über das steile Geröll entgegen, sich jeweils gegenseitig filmend. Ein leicht bizarrer Anblick. „Das wird immer schlimmer hier. Wir richten im Frühjahr mühsam die Wege ein, die kratzen sie mit ihrem Gebremse wieder kaputt.“ Der Bergführer neben mir ist nicht gerade begeistert und ich kann seinen Groll verstehen. Ich bin zwar selbst ein Mountainbiker. Dennoch gibt es Dinge, die muss man nicht tun. Und wenn doch, so darf man sich nicht wundern wenn sich die Stimmung aufheizt, oder Wege und ganze Gebiete für Biker allmählich geschlossen werden.

Zwischenzeitlich bin ich über dem Sonnalpin an genau der Stelle angelangt, an der ich meine Nonstoppfahrt von Augsburg auf die Zugspitze letztes Jahr per Bike und zu Fuß (Link) wegen Knieproblemen beenden musste. Heute fühle ich mich jedoch pudelwohl und so kaue ich bereits wenig später am Beginn des Klettersteigs dreihundert Meter unter dem Gipfel den ersten Energieriegel. Immer noch lässt sich keine Wolke blicken. Das Panorama ist unglaublich: Ich kann fast meinen kompletten Weg zurückverfolgen. Der Hochwanner gegenüber hebt sich wie ein graublauer Scherenschnitt vom Himmel ab und scheint nur ein Steinwurf entfernt.

Wenn man bedenkt, dass vor nicht allzu langer Zeit dieses Tal dort unten mit Gletschereis bedeckt war – nun reichen schon zwei Finger aus, um den Blick auf den kümmerlichen Eisrest des nördlichen Schneefernergletschers zu verdecken. Und in kaum zwanzig Jahren soll wegen der Erderwärmung auch dieser verschwunden sein.

Das nach dem Gletscher benannte Schneefernerhaus klebt rechts unter mir wie ein Schwalbennest am Hang. Ein rot gekleideter Forscher verzurrt dort gerade irgendetwas auf der luftigen Dachterrasse und blickt dabei kurz zu mir herauf. Vielleicht ist er einer der zahlreichen Wissenschaftler, die auf der Forschungsstation den Ursachen und Auswirkungen des globalen Klimawandels auf den Grund gehen? Ich bin gespannt, denn noch in diesem Jahr werde ich bei einem persönlichen Besuch (hier geht’s zur Reportage) mehr über die Arbeit der internationalen Einrichtung erfahren.

Das goldene Gipfelkreuz von Deutschlands höchstem Berg fühlt sich kurz darauf besonders gut an. Nie zuvor habe ich es berührt. Bei meiner ersten Besteigung, einer Speedaktion von der Reintalangerhütte aus, war ich für die letzte Leiter einfach zu zittrig. Und voriges Jahr war ich nach meinem Abbruch am Sonnalpin viel zu enttäuscht den Gipfel nicht aus eigener Kraft erreicht zu haben.

Aus Sorge vor einer Rückkehr meiner Knieschmerzen wähle ich später die kurze Seilbahn und nicht den verwinkelten Klettersteig zurück zum Sonnalpin. Ein kleiner Schönheitsfehler, ich weiß. Aber eine Bauchentscheidung und ich habe gelernt auf solche Gefühle zu vertrauen.
Der Rückweg danach verläuft über die selbe Route wie mein Aufstieg und so werde ich sieben Stunden nach meinem Start heute Morgen, von Martin und Hermann am Steinernen Hüttl mit einem alkoholfreien Weißbier begrüßt. Als sich mir abends am Hang gegenüber auch noch mein erster Rothirsch präsentiert – ein Zehnender im Bast – ist der Tag perfekt.