Das Projekt #47ungrad: Per Bike und zu Fuß entlang der deutschen Alpengrenze, mehr oder weniger (bayerisch: ungrad) in Tuchfühlung zum 47. Breitengrad. Mein #Adventuredahoam im Sommer 2016 führte mich von Bregenz nach Berchtesgaden, vom Bodensee an den Königsee. Quer durch die Reviere von Steinadler, Steinbock und Co. am südlichen Ende von Deutschland.

Hier ist meine dreiteilige Reportage.

Das darf doch nicht wahr sein! Dieser blöde Nebel. Hätte ich weiter unten an der Quelle über der Trifthütte etwa doch links abbiegen müssen anstatt geradeaus weiter zu laufen? Nun stehe ich hier, südlich von Oberstdorf auf einem namenlosen Gipfel der Allgäuer Alpen über dem Grenzstein Nr. 155 und blicke ratlos in das weiße Nichts um mich herum.

Seit Stunden war das Wetter immer schlechter geworden. Schon drüben unter dem Schrofenpass hatte ich zusehen können, wie die Wolken entlang der schwarzen und zerklüfteten Felsen immer schneller zu mir herabsanken. Nun sitze ich mittendrin und sehe kaum noch den Pfad vor mir zwischen dem nassen Gras verschwinden. Alles um mich herum tropft.

Ich beiße in meinen Energieriegel, breite meine Karte aus und versuche in aller Ruhe den gelaufenen Weg nachzuvollziehen. Wenn mich mein Gefühl nicht trügt, stehe ich irgendwo in einem auslaufenden Bergkamm genau an der deutsch-österreichischen Grenze. Das Haldenwanger Eck jedoch, Grenzstein Nr. 147 und als südlichster Punkt Deutschlands mein heutiges Tagesziel, müsste etwas weiter südöstlich von mir liegen. In etwa hinter dem nächsten Berg.

Ein Windstoß versetzt die Wolkensuppe ein wenig in Bewegung. Gebannt starre ich durch den Sucher meines Fernglases auf die Bergspitze gegenüber: Ob dort wohl ebenfalls ein Grenzstein steht? Vielleicht habe ich ja Glück und kann durch ein kurzes Wolkenfenster hindurch seine Nummer lesen. Dann wüsste ich wenigstens, ob die grobe Richtung stimmt. Ob die Zahlen der Steine nach dorthin größer, oder kleiner werden. Endlose Sekunden vergehen. Da, die 153 ist deutlich zu erkennen! Unweit hinter dem nächsten Berg, genau sechs Grenzsteine weiter, müsste also Stein 147 liegen. „Deutschlands Südpol“.

Mit neuem Mut packe ich meinen Rucksack und setze mich durch ein paar verdutzte Almkühe hindurch in Bewegung, als ich durch ein jähes Pfeifen aus meinen Gedanken gerissen werde. Murmeltiere! Klar, dass die sich wundern, was ich bei diesem Wetter hier oben mache. Doch die Pummelnager drehen mir allesamt den Rücken zu. Neugierig folge ich ihren Blicken und entdecke gegen das dichte Weiß der Wolkendecke am Bergrücken über mir deutlich die Silhouette eines großen Vogels. Ruhig und ohne Flügelschlag gleitet er im Konturenflug an den Hängen entlang herab. Und kommt direkt auf mich zu.

Ein hektischer Blick durch das Fernglas verrät: Er ist es – seine Majestät der Steinadler höchstpersönlich! Und ein ausgewachsener noch dazu: Gut kann ich seinen hellen Hinterkopf erkennen, als er, die Schreie der Murmeltiere heiser erwidernd, nicht einmal hundert Meter entfernt an mir vorbeisegelt und danach zwischen den Felshängen des vernebelten Biberkopfs verschwindet.

Bereits während meiner Vorbereitung im Ammergebirge und im Bregenzerwald war ich ihm begegnet. Schön zu wissen, dass er seit Jahren überall in den Alpen so langsam wieder auf dem Vormarsch ist. Erst durch ihn – durch seinen grenzenlosen Segelflug – werden die Alpen für mich zu dem, was sie sind: Ein Ort der Freiheit.

Beschwingt nehme ich die letzten Höhenmeter in Angriff und genieße wenig später für einige Minuten das exklusive Gefühl der südlichste Mensch Deutschlands zu sein. Allein am „Südpol dahoam“ sozusagen.

Die Etappen:

Etappe 1 (Bike): Lochau (Bodensee) – Spielmannsau 75 KM | 1.750 HM | 7 h

Etappe 2 (Bike & Hike): Zum Haldenwanger Eck 40 KM (Rad) | 2.000 HM | 6,5 h

Etappe 3 (Bike): Spielmannsau – Ehrwald 100 KM | 1.700 HM | 7,5 h

Etappe 4 (Bike): Ehrwald – Steinberg (Rofan) 91 KM | 1.500 HM | 8 h

Etappe 5 (Bike): Steinberg (Rofan) – Reit i. Winkl 69 KM | 800 HM | 5 h

Etappe 6 (Bike): Reit i. Winkl – Berchtesgaden 55 KM | 700 HM | 4,5 h

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