„Ich war fasziniert von der Freiheit, die ich empfand,
wenn ich mich schnell bewegen konnte.“

Ueli Steck

(8.000+, Aufbruch in die Todeszone, S. 182, Malik, 2014)

Kein Alpinist hat mich so fasziniert wie der Schweizer Ueli Steck. Warum?

Früher sind Kletterer geklettert, um besser klettern zu können. Ueli Steck hingegen, hatte einen detaillierten Trainingsplan und ging vor seinen Expeditionen Laufen als müsste er einen Ultra gewinnen. In Kombination mit seinem unglaublichen Talent als technischer Kletterer ergab sich daraus eine vollkommen andere Dimension von Effizienz und Geschwindigkeit am Berg. Eine Tatsache, die ihm den Spitznamen „the Swiss Machine“ einbrachte.

Ständig in Bewegung

Später hat er diese Art der Fortbewegung weiter gedacht und von seinen Speedrekorden an Alpenwänden wie Eiger, Grand Jorasses und Matterhorn auf die noch viel größeren Berge des fernen Himalaja adaptiert. Dort war Tempo dann jedoch kein Selbstzweck mehr, sondern sein Plus an Sicherheit: Etwas, das ihn in die Lage versetzte, schneller auf Unwägbarkeiten zu reagieren und kürzer in den Gefahrenzonen unterwegs zu sein.

Sein Konzept: Ständige Bewegung statt kuschliger Kleidung, Schlafsack und anderem „Ballast“. So brauchte er für seine Vorhaben nicht nur halb so viel Zeit, sondern auch halb so viel Equipment. Minimalismus pur. Und die Voraussetzung, ganz anders über alpine Herausforderungen nachdenken zu können als Bergsteigergenerationen vor ihm – vielleicht sein eigentliches Ziel?

Anders

Ueli Steck war jedoch viel mehr als Speed. Seine Kreativität war beeindruckend, wenn es darum ging neue Ziele zu definieren, Projekte zu finden oder grenzübergreifend zu denken. Das eigentliche Erreichen eines Gipfels stand dabei rasch im Hintergrund. Klug für einen Profialpinisten, angesichts einer Welt in der (bald) jede Bergspitze schon einmal bestiegen, jeder Fleck der Erde bereits betreten wurde. Seine Lektion: Wenn Du nicht (mehr) erster sein kannst, musst Du anders sein. So ging es ihm vor allem um das „Wie“ seiner Expeditionen.

Dabei scheute er als Bergsteiger auch nicht davor zurück über den Tellerrand seiner Sportart hinauszublicken und so unterschiedliche Disziplinen wie Rennrad, Mountainbike, Trailrunning und Paragliding in seine Projekte zu integrieren. „Just playing in the mountains“ wie er so gerne sagte. Erfrischend.

More than Speed: Ueli Steck an der Eiger Nordwand.

Selbstverständlich war Ueli Steck weder der erste noch einzige Speedkletterer. Ganz im Gegenteil: Der Faktor Zeit hat im Alpinismus schon immer eine Rolle gespielt. Dennoch hat Steck durch seine spezielle Art zu „spielen“ entscheidend mit dazu beigetragen, das für klassische Alpinisten mehr und mehr begrenzte Aufgabenfeld wieder ins nahezu Unendliche zu erweitern. Ja für alle Outdooraktiven die Tür zu einer völlig neuen und kreativen Art von Abenteuern weit aufzustoßen. Der Nebeneffekt: Viele faszinierende Strategien und Herangehensweisen, auch und gerade für das Leben abseits von Fels und Eis. So ist Ueli Steck nicht zuletzt zu (m)einer sprudelnden Inspirationsquelle geworden, wenn es darum geht groß zu denken, die Scheuklappen abzulegen, an Träume zu glauben  und sie konsequent zu verfolgen. Nicht nur im Sport.

Im Frühling 2017 war Ueli Steck in Nepal. Wohl, um als erster Mensch überhaupt das „Hufeisen“ zu versuchen – die Überschreitung der Bergriesen Everest, Lhotse und Nuptse in einem Zug. Laut Reinhold Messner eines der letzten wirklich großen und ungelösten Probleme im Höhenalpinismus. Auf seinem Vortrag zuvor im Januar in Augsburg fühlte er sich „so fit wie nie“. Am 30.04.2017 ist er auf einer für ihn unschwierigen Trainingsroute am Nuptse im Himalaja ausgerutscht und tödlich verunglückt.

Vier Tage vorher hatte er auf Facebook geschrieben: „(…) I love it, it’s such a great place here (…)“. Darüber ein Bild, das ihn in der Eislandschaft am Everest zeigt – laufend.

EIGER NORDWAND (2:22 h)

Die Eiger Nordwand: Jedem bekannt als Mythos aus Eis und Fels. Per se bereits unvorstellbar für Nicht-Alpinisten, dort hochzuklettern. Geschweige denn vierundzwanzig Stunden in dieser Vertikalen zu verbringen, wie „normale“ Bergsteiger dies tun.

Ueli Steck jedoch durchstieg dieselbe Route in 2 Stunden und 22 Minuten. Das ist in etwa so lange wie ein Kinobesuch, oder ein gemütliches Abendessen. Interessanterweise haben exakt solche plakativen Alltagsbezüge und der damit umso krassere Kontrast, Stecks unglaubliche Performance für mich viel greifbarer gemacht, als die „Normalleistungen“.

Klingt unfair? Vielleicht ging das ja nicht nur mir so. Wie sonst ließe sich erklären, warum seine Rekorde an Eiger, Grand Jorasses und Matterhorn medial so breit beachtet, er damit so populär und gleichzeitig so oft kritisiert und beneidet wurde?

Steck selbst hat Speedleistungen am Berg übrigens nie für wirklich vergleichbar gehalten und deshalb gern darauf verwiesen, dass es ihm dabei vor allem um die „persönliche Herausforderung und das eigene Erlebnis“ (LINK) gegangen sei. Auch war er sich sicher, dass bald Schnellere kommen würden und wollte sich auf Grund des stetig steigenden Risikos künftig eher weniger in dieser Speedspirale bewegen.

Generell jedoch hielt er eine Zeit am Eiger von unter zwei Stunden für durchaus machbar.

MATTERHORN (1:56 h)

Das Matterhorn, der Symbolberg der Schweiz. „The Swiss Machine“ hat es in 1 Stunde 56 Minuten statt den üblichen elf Stunden erklommen. Zwischenzeitlich hat der Schweizer Dani Arnold diese Zeit um weitere zehn Minuten unterboten. Die Speedspirale dreht sich weiter.

DANKE: Alle Zeichnungen mit Ueli Steck habe ich auf Basis von Fotografien von Röbi Bösch angefertigt. Er hat ihn durch viele Stationen seiner Karriere als Freund und Fotografen begleitet.

Danke, Röbi, für Deine spontane Unterstützung und den angenehmen Kontakt. Danke auch an Dich, Andreas (Bantel),  den Sprecher der Familie Steck, für die freundliche Unterstützung.

Literatur zu Ueli Steck

Solo: Der Alleingänger Ueli Steck, Gabriella Baumann – von Arx, Malik 2008

Speed: Die drei großen Nordwände der Alpen in Rekordzeit, Ueli Steck mit Karin Steinbach, Malik, 2010

8.000+: Aufbruch in die Todeszone, Ueli Steck mit Karin Steinbach, Malik, 2014

Der nächste Schritt: Nach jedem Berg bin ich ein anderer, Ueli Steck mit Karin Steinbach, Malik, 2016

Erst kürzlich ist ein Prachtbildband des weltweit bekannten Bergsportfotografen Röbi Bösch mit vielen Fotos (unter anderem) von Ueli Steck erschienen – absolut empfehlenswert:

Mountains, Robert Bösch, National Geographic, 2018
(HIER könnt Ihr es bestellen)

Mehr über das Projekt #eiskinder hier.