Das Projekt #8aloa: Nach meinem erfolgreichen Abschluss von „Augsburg – Zugspitze nonstop“ im Jahr 2016 war mir auf einmal mein „persönlicher Everest“ abhanden gekommen. Ein sportlich anspruchsvolles Vorhaben, das eine entsprechende Vorbereitung verlangt, ohne mich dazu zu zwingen, deshalb gleich Familie oder Firma zu vernachlässigen. Mit #8aloa hatte ich wieder ein solches Ziel vor Augen. Wie es mir dabei ergangen ist, erfahrt Ihr hier.

Viel Spaß!

Es ist geschafft: #8aloa, mein bislang härtestes Adventuredahoam!

„Papa, was macht der Mann da mit drei Rädern?“ fragt der Junge seinen Vater, als ich meine beiden Bikes an der Hochfeldernalm postiere und das dritte gerade wieder zurück ins Auto verlade.

Irgendwie hat der Kleine Recht: Wieso tue ich mir das eigentlich an? Die Sonne scheint, alle Welt sitzt (oder liegt) bei Weißbier, Cappuccino und Apfelstrudel auf der Hüttenterrasse und genießt die spektakuläre Aussicht ins Gaistal, während ich nicht mal 12 Stunden vor „#8aloa“, meinem bislang härtesten Adventuredahoam stehe: Nonstop und solo (bayrisch „aloa“) per Bike und zu Fuß in 8er-Form rund um Hochwanner und Zugspitze, die beiden höchsten Berge Deutschlands. Ein Vorhaben mit am Ende über 4.000 Höhenmetern allein im Aufstieg und knapp nochmal so viel bergab. Verteilt auf 38 Lauf- und 62 Bikekilometer.

Ein Jahr gezielte Vorbereitung

Ein ganzes Jahr lang habe ich mich gezielt auf den morgigen Tag vorbereitet – mit geschätzten einundzwanzig Stunden Dauerbelastung (m)ein ganz persönliches Ausdauer-Experiment. Sogar meine Ernährung habe ich umgestellt und dabei knapp neun Kilo abgenommen. Ich glaube nicht, dass ich gemessen an meinem Alter jemals fitter war. Dennoch: Der Respekt vor den bevorstehenden Herausforderungen steigt von Moment zu Moment und mich plagen Selbstzweifel: Werden sich die verletzungsbedingten Trainingspausen im Frühjahr bemerkbar machen? Wird das Knie halten? Erst gestern habe ich erfahren, dass ich wegen der zwischenzeitlich von der Gemeinde Garmisch beschlossenen Nachtsperrung morgen früh um drei nicht wie geplant durch die Partnachklamm, sondern über die Partnachalm würde starten müssen. 153 Höhenmeter mehr als geplant. Keine Welt, aber wenn man von einer Grenzbelastung ausgeht eben auch keine Kleinigkeit. Vor allem für den Kopf.

Nur wenige Stunden später treibt mich nachts um kurz vor zwei am Garmischer Olympiastadion der Magen aus dem Schlafsack. Nervosität oder was Ernstes? Egal. Ich bin wach, hypernervös, friere wie ein Schneider und beschließe deshalb einfach früher (genau gesagt um 2: 34 Uhr) zu starten. Etwas Zeitpolster kann unter diesen Umständen und mit dem Umweg über die Partnachalm eh nicht schaden. Meine größte Sorge war es stets, bei Dunkelheit heikle Stellen passieren zu müssen. Das Gatterl etwa, über das ich ja morgens und abends drüber muss. Oder den Schachenabstieg ins Reintal, den ich mir vorher nicht mehr ansehen konnte.

Ein paar Details zu Strecke und Höhenmetern (HM): Die Karte zeigt den ursprünglich geplanten Tourverlauf, also ohne die kurzfristig gewählte Partnachalm-Passage und somit 153 HM zu wenig. Zudem hat sich bei der Planung ein Additionsfehler eingeschlichen: Es sind 3.378 statt der angegebenen 3.258 Lauf-HM. Insgesamt ergeben sich mit den 539 Bike-HM somit 4.070 statt 3.797 HM. Die Berechnungsbasis ist Google Maps. Wer auf ein anderes Ergebnis kommt, bitte einfach melden.

Es läuft nicht rund

Die Zeit ohne Sonnenlicht vergeht wie im Flug, weil ich mich im Schein meiner Lampe darauf konzentriere mich nicht zu verfahren. Ich weiß, mit GPS wäre alles einfacher, aber ich mag kein GPS. Wo eh an jeder Ecke ein Wegweiser steht, müssen Karte und eigene Nase ausreichen. Ein letzter Rest Ungewissheit macht solche Vorhaben ja erst interessant und zum Abenteuer. Die Navigation via Handy bleibt somit dem absoluten Notfall vorbehalten.

Mir ist immer noch kalt, als ich in noch stockdunkler Nacht bei der Bockhütte heute zum ersten Mal in meine Laufschuhe steige. Die Anspannung liegt mir im Magen und hängt bleischwer in meinen Beinen. Ich ärgere mich: Es läuft nicht rund. Normalerweise bin ich bei so etwas viel lockerer. So beschließe ich irgendwann den Kopf abzuschalten und mich einfach weiter vorwärts zu bewegen, bis es hell wird. An der Hochfeldernalm könnte ich beim Umstieg auf das zweite Bike dann immer noch entscheiden, wie es weitergeht: Aufbruch zur nächsten Etappe oder Abbruch und Fahrt zurück nach Garmisch? Momentan ist das nicht wichtig.

'Einfach immer weiter' denke ich im ersten Anstieg zur Knorrhütte

Verschlafene Bergschafe kurz vor dem weißen Tal

Die Morgensonne durchbricht tief hängende Wolkenfetzen

Unterhalb der Knorrhütte passiere ich im blauen Morgenlicht dann wenig später die Schafherde, die immer hier an diesen Hängen grast. Verschlafenes Blöken, danach ist wieder Ruhe, bis kurz vorm Gatterl die Sonne ein Meer aus in Fetzen hängenden Nebelschwaden durchbricht. Endlich richtiges Licht! Und was für eins: Das Reintal liegt tief unter mir und gleicht im mystischen Schein orangefarbener Sonnenstrahlen der Bühne einer dramatisch inszenierten Wagneroper. Sollte ich heute wie geplant hier zum zweiten Mal vorbei kommen: Es wären ab jetzt nur noch knapp zwei Stunden und meine bislang härteste sportliche Herausforderung wäre geschafft. Eine Vorstellung, wie sie momentan allerdings weiter weg nicht sein könnte. Aktuell denke ich nur von Schritt zu Schritt.

Wendepunkt „Apfelstrudel“

Der Apfelstrudel samt Sahne und Cappuccino an der morgendlich ruhigen Hochfeldernalm war durchaus ein gewisses Risiko, aber er hat mir gut getan. Denn ich merke nur eine Stunde später auf der zügigen Bikefahrt durchs Leutaschtal bereits, wie die Kraft in meine Beine zurückkommt. Zum ersten Mal an diesem Tag regt sich in mir so etwas wie freudiger Stolz, dass ich überhaupt heute morgen gestartet bin.

Die Sonne scheint, es wird heiß und ich bin mitten in meiner zweiten Laufetappe, dem Anstieg zum Dach der Tour (Meilerhütte) als ich bemerke, dass ich meine für diesen Teil geplante Zeit wohl um gut die Hälfte unterbieten werde. Endlich und gerade noch rechtzeitig ist mein Körper wieder voll da! Sogleich geht es bergauf mit meiner Laune. Ein tolles Gefühl, das mich nach knapp acht Stunden über den Schachen hinweg hinunter ins Reintal trägt und – zum zweiten Mal an diesem Tag – an der Reintalangehrütte vorbei, bis kurz vor die Knorrhütte anhalten sollte.

Blick zurück zum morgendlichen Gatterl - werde ich es nochmal bis hierher schaffen?

Der Mann mit dem Hammer kommt und der Hochwanner hüllt sich in Wolken

Zum letzen Mal auf dem Weg zur Hochfeldernalm - bald ist es geschafft

Der „Mann mit dem Hammer“

Dort steht er dann allerdings, der „Mann mit dem Hammer“ und signalisiert mir nach etwas mehr als  sechzehn Stunden unerbittlich, dass ich von nun an in meinem persönlichen Grenzbereich unterwegs sein werde. Daran ändern auch drei hastig hintereinander verdrückte Carboshots nichts mehr – Flasche leer.

Es dämmert bereits, als ich genau die Stelle zum zweiten Mal passiere, an der ich heute morgen noch so ins Zweifeln gekommen war, ob ich es überhaupt erneut bis hierher schaffen würde. Ein Anflug von Euphorie überkommt mich und verdünnt die unglaubliche Erschöpfung ein wenig, die mich mehr und mehr erfüllt. Wer auch immer die abendlichen Nebelschwaden um mich herum stets so verschiebt, dass ich gerade noch den Verlauf meines Pfades zum Gatterl erkennen kann – ich bin ihm zutiefst dankbar. Die Headlamp brauche ich unter diesen Umständen nicht.

Immer noch knapp eine Stunde schneller unterwegs als vorausberechnet, fühlt sich jede Bewegung trotzdem wie in Zeitlupe an. Der kleine Gegenanstieg zum Hochfeldernjöchel: Er verlangt mir alles ab. Nur wenige Meter neben mir grasen Gämsen im Abendlicht. Eine schöne Stimmung, die aber nicht wirklich zu mir durchdringt. So antworte ich auch nicht, als mich wenig später hinab zur Hochfeldernalm ein fröhlicher Trailrunner überholt und nach meinem heutigen Tagespensum fragt. Was hätte ich sagen sollen? Er hätte es mir eh nicht geglaubt.

Mit Licht und voller Konzentration

Endlich zum zweiten Mal an der Hochfeldernalm, benötige ich gefühlt eine halbe Ewigkeit, um mich in meine Radklamotten zu werfen. Ich merke jeden einzelnen Muskel und beschließe somit meine bis hierher „gesparte“ Zeit in ein alkoholfreies Weißbier zu investieren – eine gute Entscheidung. Auch wenn es deshalb bereits dunkel ist, als ich kurz darauf auf der Almterrasse mein drittes und letztes Bike besteige und mit Licht und voller Konzentration die letzten dreißig Kilometer zurück Richtung Garmisch (Anknunft: 22:16 Uhr) rolle.

Dort krieche ich in kompletter Montur nach exakt neunzehn Stunden und zweiundvierzig Minuten in meinen Schlafsack und schlafe nach einer Handvoll Nüsse als provisorischem Abendessen sofort ein.

Nach „Augsburg – Zugspitze nonstop“ im letzten Jahr, habe ich erneut mein persönliches Limit erreicht. Experiment geglückt, aber was kommt als nächstes? überlege ich noch im Halbschlaf des nächsten Morgens: Geht’s nun immer so weiter, bis aus knapp zwanzig irgendwann vielleicht dreißig oder mehr Stunden werden? „Keine Ahnung, ich denke nicht, aber mir wird schon was einfallen“, murmele ich zu mir selbst, packe mir gegen die Morgensonne ein T-Shirt über den Kopf und schlafe wieder ein.

Danke an:

Die Region Tiroler Zugspitz Arena (für die Einfahrtgenehmigung zur Hochfeldernalm im Vorfeld, um dort meine Bikes deponieren zu können)

Die Hochfeldern Alm (fürs Bike-Depot)

Den Hubertus-Hof (fürs Bike-Depot)

Stephan (für seine beiden Bikes)

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