Das Projekt #3RIESEN: Per Bike und zu Fuß auf die drei höchsten Berge Deutschlands – und auf den Gipfel der Wissenschaft. Mein #Adventuredahoam im Sommer 2015 verband nicht nur Zugspitze (2.962 m), Hochwanner (2.744 m) und Watzmann (2.713 m) miteinander, sondern auch die beiden letzten deutschen Gletschergebiete im Wetterstein und Berchtesgaden. Zudem führte es mich ins Herzen der Klimaforschung auf das Schneefernerhaus.

Hier ist meine Reportage.

Schon immer haben mich Abenteuer fasziniert, die ohne großen Aufwand, quasi vor der eigenen Haustüre stattfinden können. So war die Idee irgendwann einfach da: #3Riesen – allein, nur mit einem Rucksack und ohne jede weitere Unterstützung per Bike und zu Fuß auf die drei höchsten Berge Deutschlands.

Berge wohlgemerkt, nicht Gipfel. Denn schnell lernte ich bei meinen Recherchen, dass die Schartenhöhe entscheidend ist. Sozusagen die Tiefe der Einkerbung zwischen einem Berg und seinem Nachbarn. Und so standen schon bald meine drei Kandidaten fest: Als Nummer eins natürlich die Zugspitze. Als Nummer drei offenbarte sich der Watzmann. Und wer kennt den zweithöchsten Berg? Ich kannte ihn nicht. Es ist der Hochwanner, nicht der Schneefernerkopf. Denn dessen Schartenhöhe reicht nicht aus und so gilt er gemeinhin nicht als eigenständiger Berg, sondern als Nebengipfel der höheren Zugspitze ein paar Felsspitzen weiter.

Der Hochwanner also. Ein Berg so unbekannt und selten begangen, dass der Weg zu seinem Gipfel nicht durch die klassischen rot-weißen Markierungen, sondern durch vereinzelte Steinmandln gewiesen wird. Meine Routenplanung wollte, dass er als erstes an der Reihe ist und so bin ich seit heute Morgen um halb sechs von Leutasch aus zu ihm unterwegs. Zuerst noch per Bike durchs Gaistal bis zur Rotmoosalm, nun bereits seit einiger Zeit zu Fuß. Anfangs auf Wegen, später auf Pfaden, dann nur noch auf Spuren. Jetzt im beginnenden Geröll der ersten Felsen sind selbst diese verschwunden und echtes Erstbesteigerfeeling kommt auf. Irgendwo da oben soll ein Holzpfahl den Einstieg in eine kurze Kletterpassage markieren – die heutige „Schlüsselstelle“ sozusagen. Die Spannung steigt. Der Hochwanner ist ein echter Abenteuerberg.

„Klack!“, ein entferntes Rieseln, dann teilnahmslose Stille. So also klingt Erosion. Immer wieder lösen sich irgendwo aus dem brüchigen Wandsystem über mir kleine Steine und kommen nach einer kurzen Rutschpartie auf den steilen Schuttfeldern zum Liegen. Das macht die ansonsten totenstille Szenerie auf geheimnisvolle Art lebendig. Bloß keine Pausen machen, bis die letzten Wände passiert sind.

Weiter oben blicke ich mich zum ersten Mal in Ruhe um: Eine fast vertikale Mondlandschaft liegt unter mir. Es muss bereits unendlich oft „Klack!“ gemacht haben! Überall liegen haushohe Felsbrocken, türmen sich große und kleine Steine, Schutt, Kies, Sand… Ich bin überrascht. Noch während meiner Auffahrt per Bike zur Rotmoosalm sah alles so starr und statisch aus. Nun stehe ich in einem atmendem Trümmerfeld. Würde man das ganze Geröll mit einem riesigen Besen ins Tal fegen – wäre dies dann noch der zweithöchste Berg Deutschlands? Kaum vorstellbar.

„Ja, der Fels hier ist halt miserabel“ wird man mir im Steinernen Hüttl später lächelnd sagen, als ich abends bei Gamswurst mit Bratkartoffeln von meinen Gedanken erzähle.
Froh keine Felswände mehr über mir zu sehen, stehe ich zwischenzeitlich auf knapp 2.500 Metern und versuche mich zu orientieren. Die letzten Steinmandl habe ich vor einer gefühlten Ewigkeit passiert. Den Gipfel vermute ich weit über mir, hinter, wie könnte es anders sein, aberwitzig steilen Schuttfeldern. Ein Mauerläufer leistet mir Gesellschaft. Der seltene schwarz-rote Vogel mit perlenartigen weißen Flecken auf den Flügeln, ist hier oben in seinem Element: Wie ein Specht im Tal auf Bäumen, flattert und klettert er auf der Suche nach Nahrung die schroffen Felswände entlang.

Plötzlich verändert sich die Szenerie. Es wird windig – der Gipfelaufbau hat begonnen! Schräg neben mir öffnen sich atemberaubende Blicke hinüber ins Zugspitzmassiv. Das Weiße Tal unter dem höchsten Berg Deutschlands, meinem Ziel morgen, ist zum Greifen nah und wirklich so weiß, als läge dort noch Schnee und nicht von Wind und Wetter ausgebleichter Steinschutt.

Ich umgreife das gusseiserne Gipfelkreuz des Hochwanner. Die letzten Meter waren wie im Flug vergangen. Über mir ein atmosphärisches Dunkelblau, wage ich einen Blick über die Kante hinab in die gähnende Nordwand. Warme Luft bläst mir ins Gesicht, irgendwo schreien Kolkraben. Die Nordwand des Hochwanner steigt senkrecht und über 1.500 Meter aus dem Reintal empor. Ich habe gelesen, sie sei eine der schwierigsten und längsten Kletterwände der Alpen. Klettern in diesem brüchigen Fels? Mir liegt ja bereits die Rückkehr ins Tal auf dem Normalweg im Magen – ich bin halt mehr Bergradler als Bergsteiger.

Neugierig sind zwischenzeitlich die Kolkraben herangekreist, um ihren vermutlich einzigen Gipfelgast des heutigen Tages zu inspizieren. Dabei fliegen sie so nah vorbei, dass ich den Wind in ihren Federn pfeifen höre. Für den Weg hinunter ins Tal brauchen sie kurz darauf nur wenige Sekunden. Ich hingegen muss ihn mir mühsam suchen und bin froh das beim Einstieg durchkletterte, brüchige Felsband auf dem Rückweg umgehen zu können.

Glücklich döse ich wenig später in den fetten Almwiesen zwischen Gipfel und dem Steinernen Hüttl und lasse das soeben erlebte Revue passieren. Der Hochwanner hatte mir von Anfang an am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Zu Recht wie ich finde. Nun hatte ich ihn gleich zu Beginn erfolgreich bestiegen, war erleichtert und freute mich entspannt auf das was noch vor mir lag. Denn mein Vorhaben hatte ja soeben erst begonnen.