Das Projekt #20WINTERS: Laut Experten des Schneefernerhauses ist wegen der globalen Erwärmung unter anderem der Zugspitzgletscher in 20 Jahren – #20winters – geschmolzen. Zeit sich vor Ort alles noch einmal schnell anzusehen. So habe ich mich am 14.08.2014 von meiner Heimatstadt Augsburg auf den Weg zum Gletscher der Zugspitze gemacht – nonstop, per Bike und zu Fuß. Ein unglaubliches Abenteuer vor der eigenen Haustüre, das mich meine persönlichen Grenzen erahnen ließ.

Hier ist meine Reportage.

P.S.: Im Jahr 2016 bin ich übrigens nonstop von Augsburg auf die Zugspitze zurückgekehrt. Wie es mir dabei ergangen ist, erfahrt Ihr hier in meinem Clip.

Seit zwei Uhr morgens war ich ihnen immer wieder recht erfolgreich entkommen. Nun erwarteten sie mich seelenruhig und geduldig am finalen Anstieg hinauf ins Weiße Tal zur Zugspitze: Die Schlechtwetterwolken. Regungslos und wie ein schmutziges Leintuch bedeckten sie den dunkelgrauen Talkessel etwa auf halber Höhe hinter der Reintalangerhütte. Hier würde ich durchmüssen, es sei denn ich bräche mein Vorhaben jetzt ab. Dann aber wäre alles vergebens gewesen.

Die ganze Plackerei bis hierher noch einmal? Never!

Zum Glück kannte ich den Weg. Also verstaute ich mein Bike wie ausgemacht für Stephans Abfahrt im Schuppen der Reintalangerhütte und machte mich an den Aufstieg hinauf zu Regen und Nebel. Mein rechtes Knie konnte ich kaum noch abwinkeln. Seit Schongau quittierte es empört jede Belastung mit einem stechenden Schmerz.

Vielleicht hatte ich es mir bei einem Sprung verdreht, oder sich die Klickpedalbindung verschoben? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich mich noch nie so auf das Ende einer Radeinheit gefreut wie heute. Dabei lag das Schlimmste noch vor mir, aber das konnte ich zu dieser Zeit ja noch nicht wissen. Mit jedem Schritt führte mich der steile Pfad höher.

Vorbei an schwarzen Steinwänden, die sich matt glänzend schon wenige Meter über mir in der stetig näher rückenden Wolkendecke verloren. Erste Nebelfinger streckten sich zu mir herab und schickten mir kalte Schauer. Bald war ich völlig umhüllt von nassem Weiß, und das Gelände wurde zunehmend glitschiger. Regen setzte ein und sofort schossen Sturzbäche schäumend durch Felsspalten hinab ins Tal.

Jetzt und hier hatte ich die Chance

Kein Laut war mehr zu hören, der nicht irgendetwas mit Wasser zu tun gehabt hätte. Nun hieß es aufpassen, denn die Zeit drängte. Der Wetterfrosch war schon während der Tour stetig missmutiger geworden.

Jetzt und hier hatte ich die Chance ein Abenteuer zu Ende zu bringen, von dem ich seit Jahren träumte: Von meiner Heimatstadt Augsburg nonstop auf den Gipfel der Zugspitze – zuerst per Mountainbike, danach zu Fuß, am Schluss kletternd. 135 Kilometer, 3.305 Höhenmeter und ein Streckenprofil das keine Zweifel aufkommen ließ: Ständig bergauf und mit dem Gipfel Deutschlands als krönendem Abschluss.

Irgendwann hatte ich einmal von jemandem gelesen, der das vom Ammersee aus geschafft hatte. Später hörte ich von Joey Kelly: Der Extremsportler war in mehreren Tagen durch ganz Deutschland auf die Zugspitze gewandert und hatte sich dabei nur von dem ernährt, was er ohne Geld zu fassen bekam.

Kein Knie, nur schlechtes Wetter!

Jeden Morgen, wenn das Wetter den Blick auf Deutschlands höchsten Punkt freigab, wurde ich seither an mein stilles Vorhaben erinnert. Und stets war ich mir sicher es schaffen zu können. Nun war ich gut vorbereitet, bis hierher gekommen und wusste: Nur ein Gewitter würde mich aufhalten können. Ein Gedanke, der mich wie ein Mantra durch den gesamten Tag getrieben hatte: Kein Knie, nur schlechtes Wetter würde mich aufhalten können!

Da wurde das trübe Weiß plötzlich zu einem Meer aus gleißendem Licht und ein infernalischer Donnerschlag zerriss meinen Gipfeltraum in Stücke. Sofort war mir bewusst: Jetzt geht es nur noch um das Erreichen der Knorrhütte, bevor hier vollends die Hölle losbricht – nichts ist diese Gefahr wert! Zudem hatte ich versprochen das Unternehmen bei Unwetter sofort abzubrechen. Und die Definition von „Unwetter“ hatte ich mit meiner Entscheidung bis hierher weiterzumachen wohl schon sehr weit zu Gunsten eines erhofften Gipfelsiegs gedehnt.

Mit schlechtem Gewissen und reichlich Adrenalin im Blut mobilisierte ich also noch einmal alle Kräfte und stemmte mich wie ein Langläufer im Zielspurt mit meinen Stöcken den Hang hinauf. Knieschmerzen? Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich hatte nur noch die Hütte im Kopf. Und genau diese hatte ich soeben erleichtert nach drei weiteren Donnerschlägen über mir im Nebel auf 2.051 Metern erblickt.

Mein Traum war geplatzt.

Ich stieß die Tür auf und mir war klar: Mein Traum war geplatzt. Selbst wenn das Wetter sich noch einmal drehen sollte, war mit meinem nunmehr fast steifen Knie an ein Absolvieren des finalen und nun sicher glitschigen Klettersteigs vom Zugspitzgletscher zum Gipfel nicht mehr zu denken. Mir kam ein Zitat Reinhold Messners in den Sinn, dass gute Bergsteiger zwar den Gipfel erreichen, nur sehr gute danach allerdings wieder gesund das Tal. Ich beschloss zu Letzteren gehören zu wollen, bestellte heißen Kakao und starrte ein Loch in den Hüttentisch. Verdrossen zückte ich mein Handy, formulierte via Twitter eine Abbruchmeldung, drückte auf „Senden“ und schob das Gerät wieder in den Rucksack zurück.

Inständig hoffte ich, dass Stephan und Hans es von der Reintalangerhütte mit meinem Bike trocken und vor allem ohne Gewitter zurück ins Tal geschafft hatten. Später erfuhr ich, dass sie zum Start des Unwetters ebenso weit von der Reintalangerhütte entfernt gewesen waren, wie ich – 500 Meter weiter oben – von der Knorrhütte. Sie versicherten mir jedoch, trotz allem selten so viel Spaß auf einer Tour gehabt zu haben. Ich beschloss es ihnen einfach zu glauben. Im Geiste war ich bereits dabei, die Übernachtung zu buchen, als ich durch das Hüttenfenster auf einmal eine einzelne, umnebelte Bergspitze entdeckte. Seit Stunden hatte ich keine Gipfelsilhouetten mehr erblickt! Nun verfolgte ich gebannt, ob sich vielleicht doch noch eine spontane Chance bot, mein Vorhaben irgendwie fortzusetzen. Wenigstens den Zugspitzgletscher knapp unterhalb des Gipfels auf dem Platt wollte ich erreichen. Dann würde sich der Kreis meines Vorhabens schließen: Immerhin hatte ich meine Tour ja mit dem abschmelzenden Schneeferner-Gletscher verbunden. Ich hatte von nun an also ein neues Ziel im Blick: Zum Gletscher und danach per Bahn sofort zurück ins Tal und ab nach Hause.

Ein neues Ziel.

Der Wirt signalisierte grünes Licht: Würde ich es unter zwei Stunden hinauf schaffen, wäre eine Rückfahrt per Seilbahn noch problemlos machbar. Also raffte ich mich auf, zog meine klitschnassen Sachen wieder an, trat vor die Hütte, biss auf die Zähne und stand 1:40 Stunden später und um Punkt 16:00 Uhr am Schalter der Zugspitzbahn – vor dem Gletscher auf dem Zugspitzplatt am Sonnalpin!

14 Stunden, 10 Minuten und 35 Sekunden waren – inklusive zwei Stunden Pause – seit meinem Start in Augsburg heute Morgen um kurz vor zwei Uhr vergangen. Erst jetzt jedoch fiel die Spannung wie auf einen Schlag von mir ab und ein Bärenhunger begann sich zu melden.

12.600 verbrannte Kalorien.

Mein Pulsmesser signalisierte immerhin 12.600 verbrannte Kalorien. Erleichtert fiel mir ein, dass Hans und Stephan mir in Garmisch noch fix drei Landjäger zugesteckt hatten. Ich aß einen nach dem anderen genüsslich auf und stieg in die Gondel. Endlich was anderes zu beißen als Energieriegel und Carboshots!

P.S.: Erst spätabends bemerkte ich, dass mein Abbruch-Tweet auf der Knorrhütte gar nicht veröffentlicht worden war. Dankbar nahm ich dies als Zeichen, die Tour doch noch irgendwie offiziell als „geschafft“ betrachten zu können. Denn ein erneuter Versuch ganz nach oben, erscheint mir momentan, und vor dem Hintergrund der noch frischen Erlebnisse undenkbar.